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Gedanken zu einer gespaltenen Debattenkultur
Lukas Perka
Gedanken zu einer gespaltenen Debattenkultur
Lukas Perka
Seit die russische Armee in die Ukraine einmarschiert ist, geraten für viele von uns Selbstverständlichkeiten ins Wanken. Wo Waffenlieferungen in Kriegsgebiete zuvor klar abgelehnt wurden, gelten sie auf einmal als Gebot der Solidarität. Die Gründe dafür sind – für einige von uns – in Teilen gut nachvollziehbar. Das Verblüffende ist vor allem die Geschwindigkeit und Absolutheit, mit der sich in der Krise die neuen Positionen herausgebildet haben – und die Heftigkeit, mit der Vertreter*innen abweichender Meinungen angegangen werden.
Eine ähnliche Dynamik gab es vor drei Jahren auch im Zuge von Corona. Viele Menschen, die sämtlichen staatlichen Organen bis dahin mit großem Misstrauen auf die Finger geguckt hatten, forderten auf einmal zum Zweck der Gesundheitsprävention massive Grundrechtseingriffe. Auch hier wieder: Die Gründe für das Umschwenken in der Haltung sind gut begründbar und verständlich. Und ebenso parallel: Auch auf diesem Feld wurden Skeptiker*innen schnell heftig verunglimpft. Schon zu äußern, dass Maske tragen nerve, konnte in manchen Kreisen böse Blicke nach sich ziehen und den Verdacht erregen, mit Querdenker*innen zu sympathisieren.
Dabei sind beide Situationen voller Dilemmata. Und beide kamen – zumindest für die meisten von uns – völlig unerwartet. Natürlich gehören vermeintliche Gewissheiten da auf den Prüfstand. Natürlich dürfen Meinungen sich verändern. Und genauso natürlich sollte sein: Wenn wir in so komplexen Konstellationen Werte gegeneinander abwägen, kommen wir zu unterschiedlichen Positionen. Und zwar nicht nur zu zwei – Kriegstreiber*in oder Sofa-Pazifist*in – sondern zu einem großen Spektrum.
Doch um überhaupt zu einer eigenen Position zu finden, brauchen wir den Raum für Zweifel, fürs Hinterfragen und Abwägen. Wir brauchen die Sicherheit, dass wir – zumindest in unserem alltäglichen Umfeld – akzeptiert bleiben, auch wenn wir bei einer anderen Haltung herauskommen als die Mehrheit. Für persönliche Unterschiede im Umgang mit dem Dilemma ist aktuell sehr wenig Raum. Es herrscht ein Konformitätsdruck, der auf der personalen Ebene viele Ängste hervorruft: Werde ich abgewertet und beschämt, wenn ich mich mit meinen Fragen und Unsicherheiten in Bezug auf die vorherrschende Meinung zeige? Ist meine Zugehörigkeit dann gefährdet?
Wir sind überzeugt davon, dass wir als Gesellschaft wie als soziale Bewegungen gerade in gesellschaftlichen Krisensituationen lebendige Konflikte brauchen, um visionäre und tragfähige Umgangsweisen mit diesen Krisen zu finden. Die gegenwärtige Polarisierung produziert viel Ohnmacht. Und wer Angst vor Ausschluss und Beschämung hat, wird nicht kreativ. Wir brauchen den Mut zur Leichtigkeit, zu Fehlern, zu Neuem, um attraktive Visionen für Veränderung zu entwickeln, statt althergebrachte Ohnmachtsrituale wieder und wieder aufzulegen.
Wir entwickeln zu diesem Thema derzeit einen Workshop, dessen Ziel es ist ein tieferes Verständnis der Konfliktdynamiken zu gewinnen und herauszufinden, was wir brauchen, um zu einer selbstbestimmten Positionierung in derart aufgeladenen Debatten zu gelangen und uns damit einzubringen. Falls euch das Thema anspricht und ihr schon einmal Interesse an dem Workshop bekunden möchtet, meldet euch gerne. Wir freuen uns über Rückmeldungen.