„Der Wandel und das Handeln, die hatten einen Streit“
Gedanken zur Bedeutung von Emotionen für die kraftvolle Bearbeitung struktureller Konflikte
Lukas Perka
Gedanken zur Bedeutung von Emotionen für die kraftvolle Bearbeitung struktureller Konflikte
Lukas Perka
Die Zeile vom Streit zwischen Wandel und Handeln ist mir wahrscheinlich deshalb in Erinnerung geblieben, weil mir dieser Streit so vertraut ist: aus unserer Arbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die so viel verändern wollen, und sich so oft in immer gleichen Schleifen verheddern, die sie vom Handeln abhalten; aber auch von mir selber, wenn ich ein Ideal von „Ich will gesellschaftlich wirksam sein“ abrufe und die große Leere kommt, wenn ich versuche, es mit Leben, mit konkreten Handlungen zu füllen.
Dieses Verheddern, das Verlieren der Orientierung, viel Reden, viel Irgendwas-Tun, ohne Richtung und ohne Energie passiert mir schnell, wenn ich mich dem Wandel einzig über den Kopf nähere. Wenn ich allein durch Nachdenken und das Austauschen von Argumenten die richtigen Strategie und den richtigen Hebel suche, entsteht selten die Energie, die mich ins Handeln bringt. Stattdessen lande ich dann – und auch das ist mir aus vielen Gruppen, mit denen wir arbeiten, vertraut – bei unerreichbaren Idealen, die vor allem eines mit sich bringen: Lähmung. Kraftvoll wird es dann und dort, wo Gruppen sich erlauben, in ihrer ganzen Vielfalt dem Wandel anzunähern: mit ihren Ängsten, ihrer Wut und ihrer Trauer, mit ihrer Lust, ihrer Freude, ihrer Kreativität, mit analytischem Scharfsinn genauso wie mit spontaner Intuition.
Teams, mit denen wir arbeiten, wehren Impulse, über ihre Gefühle zu sprechen, immer wieder mit dem Hinweis ab, dass es ja nicht um persönliche, sondern um strukturelle Themen gehe. Auch hier können wir uns schnell verheddern. Weil einerseits richtig ist, dass ihre Themen strukturell sind. Und wir gleichzeitig überzeugt sind, dass wir für die Bearbeitung dieser Themen die Gefühle brauchen. Denn auch in strukturell begründeten Konfliktsituationen, sei es in einem Team oder auf Ebene der gesamten Gesellschaft, haben wir – mitunter sehr starke – Emotionen. Und in ihnen steckt die Energie, die wir für die Bearbeitung brauchen. Das gilt nicht nur für die immer wieder als Antriebskraft anerkannte Wut, sondern auch für „leisere“, „zurückhaltendere“ Gefühle wie Angst und Trauer. Selbst die Ohnmacht anzuerkennen, entlastet – und ist ein potentieller Schritt, sie zu überwinden; das war die Erkenntnis meines Gedichts im anfangs genannten Workshop. Unangenehme Gefühle permanent durch Geschäftigkeit wegzuschieben und damit untergründig gegen sie anzukämpfen, kostet mich viel mehr Kraft und bindet mich viel stärker an sie, als sie zuzulassen.
Die strukturelle Dimension von Konflikten anerkennen und uns weiterhin erlauben, unsere Gefühle wahrzunehmen und uns mit ihnen in diese Konflikte einzubringen: Das ist ein Zugang, den wir immer wieder als lebendig und produktiv erleben. Hier haben wir viele Fragezeichen, genauso wie viele Ideen für Projekte und Seminare. Wir sind in unserem kleinen Dreier-Team bei Konfliktpotential und in Teilen unseres größeren Netzwerks im ATCC-Verbund, dabei Formate zu entwickeln, die einen ganzheitlichen Zugang zum Wandel und zum Handeln anstreben. Für 2024-25 haben wir dafür einen großen Förderantrag gestellt und warten noch auf die Entscheidung des potentiellen Geldgebers. Wir freuen uns darauf, in den nächsten Monaten und Jahren neben den organisationsbezogenen Konflikten, mit denen wir uns aktuell und auch weiterhin viel beschäftigen, auch unsere Möglichkeiten zur Intervention in gesellschaftlichen Konfliktfeldern mehr zu erkunden.